Lyrik am Freitag – Zum Tod von Adam Zagajewski

Zum Tod von Adam Zagajewski

Suche

Ich kam zurück in die Stadt,

in der ich ein Kind war

und ein Jüngling und ein dreißigjähriger Greis.

Die Stadt begrüßte mich mit Gleichmut

und die Lautsprecher flüsterten:

Siehst du nicht, dass das Feuer nimmer noch lodert,

hörst du nicht die Flammen knistern?

Geh fort.

Suche woanders.

Suche.

Suche die wahre Heimat.

(Adam Zagajewski 1945-2021)

Im galizischen Lemberg, das damals noch polnisch war, wurde Adam Zagajewski geboren. Und gleich vertrieben, weil Ostpolen nach dem Krieg sowjetisch wurde; nach Oberschlesien, nach Gleiwitz, einer Stadt, aus der kurz vorher die deutsche Bevölkerung ausgewiesen worden war. Später, als junger Mann, hat er in Krakau gelebt und gewirkt. Als Dichter und Literat hat er das sozialistische Regime in Polen kritisiert, den Einmarsch des Warschauer Paktes in Prag 1968, die Niederschlagung des Arbeiterstreiks in Danzig. Als er Anfang der 80er Jahre das Kriegsrecht über das Land verhängt wurde, ging Adam Zagajewski ins Exil. Lebte in Berlin, in den USA und vor allem in Paris. 2002 kehrte er zurück nach Krakau, in sein Heimatland. Dort ist er am vergangenen Sonntag gestorben.

„Suche“, heißt das obenstehende Gedicht. Eine Suche war sein Leben. Nach einem Ort, der ein Zuhause sein konnte. Sein Leben war eine Suche, die ein achtsames Schauen und Hören, auf das war, was ist. Was vor den Augen ist, schlicht und alltäglich, und nach dem, was sich dahinter verbirgt. Ein ungarischer Schriftstellerfreund sagte über ihn: „Er (Z.) war ein sehr wachsamer Mensch.“ Und wenn sie auf der Straße spazieren gingen, habe er etwas Abfall entdeckt und sich direkt Fragen gestellt. „Woher kommt das, wer hat das hingeworfen und warum? Er grübelte und darüber und das war schön zu sehen. Auch in den banalsten Augenblicken war er offen für Transzendenz. Er dichtete schon beim Hinsehen.“

Zagajewskis Suche war „horizontal“ nach einem Ort, an dem er sich zuhause fühlen konnte. Sie war aber auch „vertikal“, nach „oben“ hin geöffnet. Von einer „vertikalen Sehnsucht“, die ihn treibt, hat er selbst gesprochen. Ein anderer Kollege nannte ihn sogar einen „weltlichen Mystiker“, der sein dichtendes Tasten und Suchen als Teil von etwas Größerem, Erhabenerem empfand. Adam Zagajewski versuchte durch sein Schreiben etwas in Worte zu fassen – ein Geheimnis, ein Schaudern, ein Staunen, ein Gefühl der Nähe zu etwas, was nicht in Worte zu fassen ist. Dichtend konnte er sich aber diesem Erhabenen annähern. Die Lyrik selbst, so sein Gedanke, war dabei ein Teil von diesem Geheimnis. „Gedichte kommen aus einer anderen Welt. Woher?“ fragt Zagajewski und antwortet: „Ich weiß es nicht.“ In einem Gedicht „Gespräch mit Friedrich Nietzsche“ fragt er den, der behauptete, dass Gott tot sei:

Wenn’s aber keinen Gott gibt und keine Macht,

die die unterschiedlichen Elemente zusammenfügt,

was sind dann Worte, und woher kommt

das innere Licht?

Und woher kommt die Freude? Wohin geht das Nichts?

Wo wohnt die Vergebung?

Warum verschwinden die kleinen Träume am Morgen

und die großen wachsen?

PS. Noch ein Gedicht, das in seinem Tiefsinn sicher nicht in wenigen Worten und kurzen Gedanken zu ergründen ist. In diesen Zeilen stecken aber, so empfinde ich es, sowohl unsere Ängste und Verletzungen, als auch ein Antwortversuch auf die Frage, warum wir uns oft so schwer von ihnen verabschieden und sie loslassen können:

Das

Das, was so lastet

Und abwärts treibt,

das, was weh tut wie Schmerz

und brennt wie die Wange,

das kann ein Stein sein

oder ein Anker.

 

PPS. Einer breiteren Öffentlichkeit ist Adam Zagajewski übrigens bekannt geworden als die Zeitschrift „The New Yorker“ nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 sein Gedicht „Versuch’s die verstümmelte Welt zu besingen“ abdruckte. Es ist leicht im Internet zu finden.

 

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