Einladung
Langsamer und leichter
als alle, im Strom der Eilenden
setzte sie die Füße, die Frau
drehte sich weich in den Schultern
bei jedem Schritt, den Kopf
aufrecht, eine Träumende
schön und ein Beispiel.
Lächelnd sprach sie im Cafe
über ihr Leiden an der Hüfte.
Warum erschrak ich.
Das Unversehrte, der Maßstab
der Schönheit, aber
Heil ist ein anderes Wort
das von allen gesuchte.
Heinz Kattner (geb. 1947)
Warum, frage ich mich, nennt der Dichter seine Zeilen „Einladung“? Vielleicht, weil der Begegnung des Mannes mit der Frau, die er in seinem Gedicht beschreibt, eine „Einladung“ zugrunde liegt? Eine Einladung, denke ich, für ein Rendezvous in einem Café? Vielleicht folgt die Einladung auf eine Annonce hin, wie sie früher üblich war; ist es ein „Blinddate“, bei dem sich die beiden, der Mann und die Frau, einander noch unbekannt, das erste Mal begegnen. Und bevor sie beieinandersitzen, von Angesicht zu Angesicht, da fällt sie ihm schon auf, aus der Ferne. Vielleicht, so stelle ich es mir vor, schaut er von seinem Platz im Café die Straße hinunter, wartend, aufgeregt, den Hals reckend. Und da er erkennt er sie, obwohl er sie noch nie gesehen hat: Sieht, wie sie sich nähert, im „Strom der Eilenden“. Auffällig schön ist ihr Gang, sind ihre Bewegungen, wie „eine Träumende schön“. Und sie unterscheidet sich in seinen Augen von den anderen um sie herum. Geht weich, leicht, anmutig. Ein „Beispiel“ für den, der da aufmerksam, achtsam schaut, in einer beschleunigten Welt.
Eine Verletzung, ein Leiden ist es, die Hüfte, die sie sich so bewegen und sich abheben lässt von der Menge. Aber das erfährt der Mann erst im Gespräch. Der versehrte Körper verleiht ihr diese individuelle Schönheit. Eine Schönheit, die im Auge des Betrachters entsteht und die nichts mit Perfektion zu tun hat. Eine Ausstrahlung, die ihn erreicht und offenbar tiefer reicht als ein schöner Schein. Mit einem Lächeln teilt sie sich mit. In sich ruhend, selbstbewusst. Und der der Mann, der Dichter, erkennt in dieser Schönheit „Heil“. Ein Heil, das eben nicht Unversehrtheit, Makellosigkeit meint, sondern im Brüchigen, Verletzten erst sichtbar wird, vielleicht erst dort entstehen kann.
Vielleicht ist es so, dass Schönheit, Glück, Liebe, eben all das, wonach wir suchen – Heil und Sinn für unser Leben in einem umfassenden Sinn – dass dieses Wesentliche im Fragmentarischen gedeiht und auch die Schattenseiten des Lebens kennt. Sich vielleicht immer wieder auf dünnem Eis bewegt. Heil, so kommt es mir vor, entsteht im Ineinander von Fülle und Verlust und geht wohl manches Mal auch durch Schmerzen und Zweifel. Damit wir schließlich „geheilt“, das heißt auch versöhnt mit der eigenen Geschichte sagen können: Es ist gut so. Vielleicht ist es die „Einladung“ so, d.h. anders zu sehen. Nicht nach dem Perfekten Ausschau zu halten, sondern das Schöne im Unvollkommenen zu erkennen.
Meint Kattner wohl, dass alle das Heile suchen, oder tatsächlich Heil suchen? Oder suchen alle Heil und vermuten es im Unversehrten, Schönen (und da an der falschen Stelle)?
Er hat ja auch Theologie studiert, deshalb dazu noch die waghalsige Frage, ob die Frau Jesus ist? Das Hüftleiden von damals aber trotzdem aufrecht und schön, langsamer und leichter als alle.
Und Heil bringend und dabei mit Leiden, sich nicht gegenseitig ausschließend.
Eine Einladung wäre es dann zum Glauben, Folgen, Lieben…..
Aber auch weltlich natürlich ein sehr schönes Gedicht!
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