Lyrik am Freitag – Paul Celan

In dieser Woche am 23. November hat sich der Geburtstag von Paul Celan zum 100. Mal gejährt. Geboren wurde er als Paul Antschel bzw. Ancel (Celan ist als Kunstname ein Anagramm) in Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina; damals ein Teil Rumäniens, heute in der Ukraine. Er war ein deutschsprachiger Jude in einer multikulturellen Stadt. 1941 wurde Czernowitz von der deutschen Armee besetzt. Seine Eltern wurden deportiert und starben. Celan selbst überlebte Zwangsarbeit und Ghettoleben.

Die Erlebnisse jener Jahre hinterließen jedoch tiefe seelische Verletzungen und auch Schuldgefühle („Überlebensschuld“). Nach dem Krieg lebte Paul Celan in Wien und Paris, beendete sein Romanistik-Studium, hatte Liebes-Beziehungen, war verheiratet, versuchte ins Leben zu finden. Er dichtete und versuchte schreibend die Traumata der Jugend zu verarbeiten. Krieg und Shoa, jüdische Geschichte und religiöse Traditionen blieben wiederkehrende Themen in seinem Werk. Seine Gedichte fanden Beachtung. Es gab Kontakte in die westdeutsche Literaturszene, doch blieb Celan dort ein Außenseiter in seiner manchmal kryptischen Sprache, seinem eigenen (Vortrags-)Stil. Von vielen unverstanden, in seiner ganz eigenen (östlichen) Überlieferung. Auch litt er unter dem immer noch vorhandenen Antisemitismus im Nachkriegsdeutschland.

Celans immense literaturgeschichtliche Bedeutung liegt wohl darin, dass er eine ganz eigene Art gefunden hat, mit der Unmenschlichkeit und dem Grauen, durch das er selbst gegangen war, schreibend umzugehen; auf der Suche nach den Möglichkeiten der Dichtung im Angesicht Unbegreiflichkeit der Shoa. Sein Schreiben war, in jüdischer Tradition, so immer wieder auch ein Ringen mit Gott. So lese ich sein Gedicht „Psalm“ aus dem Jahr 1961, das so beginnt:

 

Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,

niemand bespricht unsern Staub.

Niemand.

 

Gelobt seist du, Niemand.

Dir zulieb wollen

wir blühen.

Dir entgegen.

 

Ein Nichts

waren wir sind wir, werden

wir bleiben, blühend:

die Nichts-, die

Niemandsrose. (…)

 

Gott ist der Niemand. Einst ein Jemand, der den Menschen geschaffen, dem Staub Leben eingehaucht hat, ist er zu einem Niemand geworden. Er ist da, anrufbar, der Mensch kann ihn sogar loben, doch hat er sich zurückgezogen. Gott hat sich als Schöpfer von seiner Schöpfung entfernt. Und die Menschen sind wie Rosen. Sie blühen dem entgegen, der aber nicht mehr da ist. Niemandsrosen. Das scheint paradox. Entspricht aber dem Gefühl des Dichters, der um seine Existenz gerungen hat – verloren, geworfen, heimatlos in der Welt. Vor 50 Jahren nahm er sich das Leben.

Nachtrag: Ein ganz anderes Gedicht, ein anderer Ton, der mir noch unverhofft und spät in die Hände fiel. Paul Celan, ebenfalls ringend, doch das Leben bejahend. Und schreibt:

Leb die Leben, leb sie alle, / halt die Träume auseinander, / sieh, ich steige, sieh, ich falle, / bin ein andrer, bin kein andrer.

So mögen wir aufrecht, mutig und zuversichtlich in diesen Advent gehen.

 

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  2. Steffen Kühnelt

2 Kommentare

  1. Im Psalm überträgt sich mir augenblicklich dieses Gefühl von tiefer Enttäuschung.
    Das zweite erschliesst sich mir nicht recht… Eigentlich nur der erste Teil.
    Ich habe einen grossen Respekt vor Menschen mit diesen tiefen, einschneidenden, traumatisierenden Erfahrungen… dafür noch Worte zu finden!!!

    1. Liebe Frau Hinrichs, was meinen Sie mit dem „zweiten“? Meinen Nachtrag? Oder die Rede vom abwesenden Gott? – Ich habe in der Zwischenzeit noch etwas mehr in Celans Werk geblättert und finde immer mehr Gedichte, die auch von Leichtigkeit zeugen, die es in seinem Leben gab und merke, dass mich das freut für ihn, den Verletzten; z.B. sind da verliebte Worte, die er an Ingeborg Bachmann richtet, mit der eine Beziehung hatte. Und doch ist sein Werk schwer zu verstehen bzw. wohl nur von seinen Todes-Erfahrungen her zu lesen.

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