Das Oberlicht
Du warst für Oberlichter. Ich war sehr dagegen,
Die feste Pechkieferverschalung anzusägen.
Ich mochte es niedrig, zu, das klaustrophil-
Beengte Nest-unter-dem-Dach-Gefühl.
Ich mochte diese Pulvertrockenheit,
Den deckeldichten Sitz der alten Decke.
Unter ihr war’s wie unter Kuh und Glucke.
Der Schieferdach hielt warm wie schwarzes Ried.
Doch als der Schiefer wegkam, trat ein schöner
Verschwenderischer Himmel ein, Erstaunen kündend.
Tagelang fühlte ich mich wie ein Bewohner
Des Hauses, wo der Mann, der an Gicht litt,
Durchs Dach hinabgelassen wurde, seine Sünden
Verziehen bekam, genas, sein Bett nahm und davonschritt.
Seamus Heaney (1939-2013)
Ich stelle mir eine alltägliche eheliche Auseinandersetzung vor: Den Dichter Heaney (Nobelpreisträger für Literatur 1995) mit seiner Frau in der Diskussion um eine bauliche Veränderung des Dachgeschosses, den Einbau eines Oberlichtes. Ich stelle mir vor, wie er um sein „Nestgefühl“ unter dem Dach bangt und kämpft, das ihn so warm und geborgen sein lässt wie einst als Kind unter dem Reetdach des elterlichen Bauernhauses in der Nähe von Derry/Nordirland. Und wie sie, seine Frau, sich schließlich mit Argumenten und Beharrlichkeit durchsetzt in ihrem Wunsch und dann die Handwerker anrücken und schließlich einen Raum zurücklassen, der den Dichter in Erstaunen versetzt. Himmlisch licht wird es unter dem Dach. Licht und tatsächlich so etwas wie Heil ziehen ein. Ein ungeahntes Gefühl von Freiheit und eine neue Perspektive, eben himmelwärts.
Und in Heaney zieht die Erinnerung auf an eine biblische Geschichte, die er vielleicht als Kind in der Sonntagsschule gehört und seitdem kaum mehr erinnert hat; und die jetzt in diesem überraschenden Kontext in ihm empordrängt und ihre Botschaft ruft. Es ist die Heilung des Gelähmten (in alten Übersetzungen steht im Deutschen oft „des Gichtbrüchigen“), die der Evangelist Markus gleich zu Beginn seine Erzählung berichtet. Der (Gelähmte), weil das Haus, in dem Jesus weilt, so von Menschen überfüllt ist und der Zugang blockiert ist, durch das aufgedeckte Dach zu Jesus hinabgelassen wird, und so – auf ein Wort hin – von seinem Leiden geheilt wird. Weil Jesus ihren Glauben sah, wie es heißt (Mk 2,1-5).
Nicht wie der Gelähmte bzw. Geheilte fühlt er sich, schreibt Heaney, sondern wie ein Bewohner jenes Hauses in Kapernaum, in dem Erstaunliches passiert. Wie ein Mensch, dem Erstaunliches passiert. Der – bei allerlei Vorbehalten und Gegenargumenten – von Licht und Heil überrascht wird. Dem unmittelbar die alte Botschaft einleuchtet. Und dem ein Stück vom Himmel aufgeht. Und ich denke: Wie schön, wenn wir alte Geschichten haben, die uns helfen, das, was uns geschieht, zu deuten und in Worte und Bilder zu fassen! Und wie erhebend es sein kann, wenn uns schöne Überraschungen passieren! Erhebendes Erstaunen, schöne Überraschungen und Lichtblicke, die wünsche ich uns in diesem Jahr.
Weniger der Ausbau des Hauses als die bibl. Geschichte, die dahinterstehen könnte, wobei mich immer die Hilfsbereitschaft der Menschen beeindruckt hat, die den Gelähmten durch das Dach hinunterlassen, damit Jesus ihn siehr und ihn heilt!So könnte Licht aussehen!
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