Gegen November
Die Sterne sind schon winterlich.
Und auch die Mondscherbe ist kalt.
Novemberwind geht wider mich.
Und ich werd unaufhaltsam alt.
Wie häufig wird es jetzt November!
Wie nahe ist mir schon die Zeit,
Da alles, was geschieht, geschenkt ist.
Und schien doch gestern noch so weit.
Woran sich wärmen? Wie sich halten
Und sich ertragen? Ein Gesicht,
Versinkend mählich in den Falten,
Nur selten noch gefaßt von Licht…
Ich wehre mich, daran zu glauben,
Daß ich zu alt für Wunder bin,
Und daß die Bäume sich entlauben,
Nehm ich als Vorbedingung hin
Für einen Frühling ohnemaßen,
Den man im Winter wollen muß..
Und weiter über Sommerstraßen
Und wenn man will, gibt´s keinen Schluß.
Eva Strittmatter
Wie häufig wird es jetzt November… Wir gehen nächste Woche in diesen Monat, der in diesem Jahr noch mal mehr seinen Zuschreibungen als grau, trüb und freudlos entsprechen könnte: die Begegnungen von Angesicht zu Angesicht sind begrenzt, zur äußeren Dunkelheit kommt die ungewisse Aussicht auf die Zeit, die kommt und die bange Frage: wann werden wir uns wieder unbeschwert in die Arme nehmen können?
In Eva Strittmatters Novembergefühl, so lese ich es, spiegeln sich ihr Älterwerden, vielleicht auch persönliche Verluste, ein „Weniger Licht“ in verschiedener Hinsicht. Aber damit will sie sich nicht abfinden, will den November nicht nur „ertragen“. Widerständig, trotzig kommt sie deshalb (in den letzten beiden Strophen) daher. Das Gedicht drückt für mich ihr Widerstehen aus und heißt ja auch doppeldeutig: Gegen November.
Dem November setzt die Dichterin ihre Hoffnung, mehr noch: eine Gewissheit entgegen: Der Herbst, die entlaubten Bäume, sind da, aber sie sind nur Teil eines Prozesses (eine „Vorbedingung“ sagt sie), der sie (immer) wieder ins Licht, in den nächsten Frühling führt. Ja, den sie selbst mitgestalten kann, d.h. man muss diesen Weg auch „wollen“, so höre ich sie. Wunder wollen im Sinne von Wunder machen kann der Mensch nicht; Wunder können wir nicht beschleunigen, aber sie sind auch nicht ausgeschlossen, niemand ist zu alt für das Wunderbare. Und uns bereit machen, das können wir schon, glaube ich. Uns öffnen für das Schöne („man darf auch mit dem Schönen rechnen“, sagte mir neulich ein Freund) und das Helle, das vielleicht noch verborgen ist. Wir müssen gerade in dieser Zeit unsere positiven Antennen ausfahren und die Sinne und das Herz aufsperren für die kleinen Wunder, die schon in diesem November passieren können.
Ein wunderbares, sanftes Gedicht…ich fühle mich sehr angesprochen, es spiegelt manche meiner Gedanken sehr deutlich . Die Falten – ja – sie bleiben nicht
aus…warum auch? Sie sind Teil meines ‚Geworden seins‘. Licht und Schatten liegen dicht beieinander, und wechseln sich ständig ab. Ich denke, daß wir mit unserem zunehmenden Alter (idealerweise!) mehr in die Achtsamkeit gehen
und die Dinge gelassener betrachten können. Jedenfalls erlebe ich es so…das bringt allein schon manchen hellen Moment mit sich, macht die kleinen Dinge sichtbar, die uns umgeben. Nichts ist selbstverständlich.Dieses Glück kommt auf leisen Sohlen daher….mir fällt dazu noch das schöne Bild ein: möchte ich, daß Wasser in meine Hand fliesst, um daraus zu trinken, so muss ich die Hand
dazu öffnen…eine Faust kann nichts aufnehmen.
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