Lyrik am Freitag – Erinnerung an Wolfgang Borchert

Ich möchte Leuchtturm sein
in Nacht und Wind –
für Dorsch und Stint –
für jedes Boot –
und bin doch selbst
ein Schiff in Not!

Wolfgang Borchert (1921-1947)

 

Mit diesen Zeilen beginnt ein Lyrikzyklus mit vierzehn Gedichten, die Ende 1946 zum ersten Mal auf einem Abend der Vereinigung Niederdeutsches Hamburg in Eppendorf vorgetragen und dann bald auch gedruckt veröffentlicht werden. Es ist eine Auswahl von Texten, die Wolfgang Borchert zwischen 1940 und 1945 verfasst hat. In der Zeit des Krieges: als Soldat, an der Front im Osten, im Lazarett, wohl auch im Gefängnis (inhaftiert wegen „wehrkraftzersetzender“ Rede). „Laterne, Nacht und Sterne“ so heißt das Bändchen. Und im Untertitel „Gedichte um Hamburg“.  Tatsächlich sind die Hamburger Nacht mit oder ohne Sterne, der Hamburger Regen, die grauen Straßen der Stadt mit seinen Laternen, seinen Kneipen, sind der Hafen und der Strom Schlüsselworte bzw. –motive, durch die Borchert mich als Leser mitnimmt in das Hamburg jener Zeit. Sehnsuchtsvoll und melancholisch, selten leicht ist sein Blick auf das Leben in der Stadt. Seine Gedichte handeln von Menschen, ihrer Liebe und auch von Lust, doch die Liebe hat meist einen traurigen Klang; meist ist es die Erinnerung, der Abschied und der Verlust, in denen die Liebe lebt. Borchert dichtet von Kindheitsbildern und –träumen, über das gruselige Inventar eines Antiquitätenladens und in all dem von einer großen und grauen, bergenden und verlorenen Stadt, die ihm Heimat ist. Niemand kann, finde ich, so schön und traurig gleichermaßen, so poetisch über Hamburg schreiben.

Ein „Leuchtturm“ möchte er sein „in Nacht und Wind“. Möchte seine Botschaft hinausrufen in die Welt. Das Leben begreifen und zeigen, will er; in seiner Schönheit, in seiner Schaurigkeit. Nahe an den Menschen, den einfachen, alltäglichen Menschen in ihrem Sehnen und Drängen. So wäre er beinahe Schauspieler geworden, das war sein Wunsch, als Abiturient inspiriert durch Gustav Gründgens. Doch der Krieg wirft alle Pläne über den Haufen. Und nun 1945 ist er verwundet und krank (eine unheilbare Infektion der Leber) zurück in seiner Stadt. Und schreibt. Ist ein Schriftsteller. Dabei ist Prosa eigentlich sein Metier (Lyrik ist die Ausnahme). Mit seinen Erzählungen trifft er einen unerhörten Ton und wird gehört. Borchert wird ein Protagonist dessen, was später „Trümmerliteratur“ genannt wird. Sein Erfolg liegt vielleicht in seiner Dringlichkeit und seinem Einfühlungsvermögen. Er fühlt sich ein in die Menschen, die der Krieg wieder ausgespuckt hat und nun in den Trümmern ihrer Stadt und ihres  Lebens leben müssen. Erschüttert und verwirrt. Die versuchen zu verstehen, was passiert ist; die neue Orientierung suchen. Borchert gelingt es ein „Leuchtturm“ zu sein, weil er selbst so ein Ausgespuckter, Verzweifelter, Suchender ist. Weil er eben auch ein „Schiff in Not“ ist. Schwankend an Leib und Seele. Mit Verwundungen, die nicht wieder heilen. Er stirbt bei einem Kuraufenthalt in Basel. Mit 26 Jahren. Am Tag nach seinem Tod wird sein gefeiertes Radio-Hörspiel „Draußen vor der Tür“ in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt. Am 9. Mai 2021 wäre er 100 Jahre alt geworden.

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  2. Steffen Kühnelt
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4 Kommentare

  1. „Leuchtturm möchte ich sein“: welch ein schönes Lebensmotto! Es erinnert mich an die biblische Aufforderung: Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter( Matth.5, 15)! Wir Menschen, die selbst beschädigt sind durch die Blessuren des Lebens, sollen uns nicht verkriechen, sondern leuchten und Wegweiser sein für andere; denn wie kann ein vollkommenes Ideal wirkliches Vorbild sein, wenn es den anderen nicht da abholen kann, wo er oder sie in seiner Not steht? – Danke, lieber Wolfgang Borchert, für die Erinnerung an die lebensnotwendende Funktion des Leuchtturmes!

    1. Liebe Helga Lurse, das ist wirklich eine schöne Ergänzung. Was für ein tröstlicher (biblischer!) Gedanke, dass wir „Leuchttürme“ füreinander sein können auch und gerade weil wir alle immer wieder „Schiffe in Not“ sind. Danke! S.K.

  2. Schönes Gedicht…
    ja, man kann eine versehrte Seele besser Verstehen und trösten, wenn man selber an seinen Verletzungen gewachsen ist…
    Mir fällt gerade Khalil Gibrans Wort dazu ein:
    Der Schmerz ist das Zerspringen der Schale, die das Verstehen umschliesst.

  3. Liebe Susanne, welch ein genialer Gedanke von Khalil Gibran: Der Schmerz durchbricht die „Mauern“, die Schalen, und dringt zum Kern der Dinge vor. Er ermöglicht erst das Verstehen, das Erahnen und Begreifen des Geheimnisses, das in allem Lebendigen steckt.

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